Hallo Ihr Lieben, es folgt ein zweiter Teil zum Thema Dead Man Walking. Letzten Samstag, also am 08.09., hatte das Theater Bielefeld sein Fest zur neuen Spielzeit. Das ist wie ein Tag der offenen Tür, an dem spielerisch die Saison mit all seinen Stücken und Themen aus allen Bereichen des Theaters vorgestellt wird. Da nun auch die Rudolf-Oetker-Halle eine Spielstätte unseres Hauses geworden ist, hat das Fest dort statt gefunden. Dead Man Walking durfte nicht fehlen. Um in die Thematik einzusteigen hatten wir uns überlegt mit freiwilligen Besuchern Knastgespräche zu führen. Hierfür gekommen ist Regisseur Wolfgang Nägele, der die Oper ab November diesen Jahres inszenieren wird. In einer Dreiviertelstunde sollten sich im 5-Minuten Takt Probanden der Herausforderung stellen als Insasse eines Todestrakts ein Gespräch mit Sister Helen, als seelischen Beistand (also mit mir), und einem Juristen des Staates (Wolfgang Nägele) zu führen. Dass das so spannend und aufzwirbelnd wurde, hätten wir nicht gedacht…

Zunächst einmal beschreibe ich Euch, wie genau das funktionierte. Die Abendkasse der Konzerthalle eignete sich super für eine Zellensituation: karg von innen, klein und beklemmend, ein Stuhl für den „Insassen” und ein paar Weitere für diejenigen, die auch ein Gespräch führen oder sich das genauer anhören wollten. Die „Zelle” hatte keine Fenster, lediglich in der Tür gab es eins, passend für das Gespräch. Am Anfang waren wir sehr aufgeregt, weil wir uns gefragt haben, wer denn mutig genug für solch ein Rollenspiel an so einem festlichen Tag sein würde. Das Thema ist ja nun auch nicht ohne. Derjenige, der sich der Aufgabe stellt, sollte versuchen sich in einen Menschen hinein zu versetzen, der entweder zu Unrecht einsitzt oder so brutale Morde begangen hat, wodurch er überhaupt zu Tode verurteilt wurde. Krass. Ich habe Euch im letzten Beitrag geschrieben, dass ich definitiv ein Gegner der Todesstrafe bin. Aktuell ist es so, dass diese Strafe in 16 Staaten in Amerika verhängt wird. Wir haben uns vorgestellt, das Ganze passiert in Angola State penitentiary Louisiana, dem Gefängnis aus dem Stück Dead Man Walking. Wolfgang hat sich in die juristischen Strukturen des Staates zu dem Thema eingelesen, um die Probanden mit klaren Fakten zu konfrontieren, wie zum Beispiel: Wenn ein zum Tode Verurteilter auf seinen Hinrichtungstermin wartet, kann das schonmal 16 Jahre dauern. Die Insassen sitzen 23 Stunden am Tag isoliert und ganz auf sich allein gestellt, einsam und ohne Chance auf Ausgang. Eine Stunde am Tag dürfen sie mit einem Wärter den Gang auf und ab laufen. In Berufung zu gehen ist in seltenen Fällen möglich, führt aber in noch selteneren Fällen zu einer Umwandlung des Urteils oder gar einem Freispruch.
Meine Grundlage für das Gespräch war zum einen die religiösen Sichtweisen der Sister Helen selbst, ob aus dem Buch oder aus dem Stoff der Oper, zum anderen nahm ich meine eigenen christlichen Überzeugungen hinzu und ich sah mir im Vorfeld die Dokumentation „Im Todestrakt” von Werner Herzog an. Für alle, die es interessiert- die Serie läuft auf Netflix. Herzog führt in Texas selbst Interviews mit Gefangenen, die zum Tode verurteilt wurden. Eine sehr pure und mitreissende Serie, durch die man tiefere Einblicke in diese grausame Thematik gewinnt. Wer mehr dazu wissen möchte, kann mir sehr gerne schreiben.

Es ging los. Kaum erläuterten wir zu Beginn den Besuchern, die kamen, um was es hier geht, war schon die erste Dame dazu bereit sich in die Zelle zu setzen. Ihr müsst Euch vorstellen, für uns „Profis” ist Improvisation auch nicht immer easy, wie muss sich dann so jemand erst fühlen.
Die Frau ließ sich komplett darauf ein und fragte uns, was sie verbrochen habe. Wir erfanden eine Situation und stellten ihr Fragen, wie: „Der Tod macht jedem Menschen Angst, wie ist es für sie eine Hinrichtung vor sich zu haben und sogar zu wissen, wann sie sterben werden?” oder „Wie geht ihre Familie damit um, dass sie jemanden brutal ermordet haben?“, „Glauben sie an Vergebung, bereuen sie ihre Tat?” und und und. Ich sage Euch, das macht was mit einem, egal ob man die Fragen stellt oder sie gestellt bekommt. Unsere erste Kandidatin hat es unglaublich mitgenommen und uns somit auch. Da waren die fünf Minuten sehr entgegenkommend. Ihr glaubt es nicht, wir hatten einen plötzlichen Andrang und tatsächlich bis zum Schluss Menschen, die mit uns so ein Gespräch führen wollten.
Es gab auch die ein oder andere Person, die sich im Vorfeld ganz klar überlegt hatte, was sie verbrochen habe, wie sie dazu steht und mit welchem Recht. Beeindruckend.
Natürlich gab es auch den Fall der Unschuld hinter Gittern. Eine Besucherin improvisierte den Umstand, dass sie unschuldig sei und das Beweisvideo gefälscht wurde. Die ganze Familie stehe hinter ihr und sie möchte alles Mögliche versuchen in Berufung zu gehen.
Und das ist tatsächlich alles andere als unüblich in Amerika. Viel zu viele Menschen sitzen zu Unrecht hinter Gittern und warten auf ihre Hinrichtung. Unfassbar. Wenn man von Beginn an den falschen Rechtsanwalt hat, zum Beispiel einen Pflichtverteidiger, der ein Befürworter der Todesstrafe ist oder Beweise manipuliert wurden, hat man einfach keine Chance. Viele der Betroffenen kommen aus Verhältnissen, durch die sie auch gar nicht die Mittel gehabt hätten sich einen Spitzenanwalt zu leisten.
Da musste ich an die Serie von Werner Herzog denken. Probiert mal folgendes aus, wenn Ihr Euch die Serie anschaut : Ein Verurteilter sagt, er sei unschuldig – parallel bekommt man die nicht 100 prozentige Beweislage des Falles erklärt, glaubt Ihr demjenigen oder nicht?
Wir waren sehr beeindruckt vom Mut und der Bereitschaft der Besucher, sich diesem Experiment zu stellen. Am Ende waren Wolfgang und ich richtig geschafft und hatten einen riesigen Hunger.

Wie immer freue mich über Eure Gedanken, schreibt mir Eure Kommentare direkt unter diesen Beitrag. Ihr könnt mir gern auch eine Email schreiben oder eine Nachricht auf Facebook.

Liebste Grüße von Eurer Nohad

 

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