Hallo Ihr Lieben, heute wage ich mich mal an ein absolut spannendes Thema, nämlich das Üben. Mein Thema lautet: „Üben – viele Wege – ein Ziel!”. Nach meinem letzten Beitrag („Üben ist Arbeitszeit oder etwa nicht?”) wurde ich gefragt, wie ich denn übe und was das für mich bedeute. Ich bin davon überzeugt, dass es extrem viele Wege gibt – den unterschiedlichen Menschen, Anatomien, Energien, Persönlichkeiten und Stimmlagen entsprechend. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir alle das gleiche Ziel beim Singen und beim Üben haben – die Fähigkeit zu erlangen mit seiner Stimme, im Rahmen seiner Möglichkeiten, gesund, frei und ausdrucksstark zu singen und das möglichst ein Leben lang. Was mir über all die Jahre klar und immer klarer wurde ist, dass wir nahezu alle die gleichen Baustellen und Schwierigkeiten durchleben, jeder unterschiedlich stark und intensiv, und dass jeder ein eigenes Tempo beim Lernen und in der Entwicklung hat. Wenn ich jetzt von mir und meinen Erfahrungen zu dem Thema erzähle, dann ist das nur ein Weg von viiieeelen verschiedenen Wegen.
Das Thema Üben begleitet mich im Grunde seit meinem sechsten Lebensjahr, als ich mit dem Klavierunterricht angefangen habe. Ich weiß noch, dass ich fast täglich am Klavier saß und besser als mein Bruder sein wollte, dass ich jedoch nie so wirklich die große Lust hatte ein Stück bis zur „Perfektion” zu lernen (was meine Lehrerin damals wahnsinnig gemacht hat), sondern vielmehr stundenlang von Blatt spielen wollte. Mein Vater kaufte mir stapelweise Noten, damit saß ich immer wieder um die zwei bis drei Stunden am Klavier und versuchte einfach alles zu spielen, was vor mir lag. Interessanter Weise hat das bewirkt, dass ich heute noch meine Gesangsstücke und Partien am Klavier beginne: zu erst erfassen, was ich spielen und begreifen kann, dann singen. Angefangen zu singen habe ich mit 14 Jahren in einem Chor. Ich werde niemals mein erstes Konzert, mein erstes Chorwerk und mein Gefühl dabei vergessen. Es wurde das Requiem von W.A. Mozart aufgeführt. Auch wenn ich sehr jung war, habe ich ganz bewusst gespürt, dass meine Stimme einfach noch nichts konnte. Viel Luft lag auf den Stimmbändern und die Beweglichkeit lag noch in weiter Ferne. Das ist schon so lange her und trotzdem kann ich mich noch ganz genau daran erinnern. Etwas später stand meine erste Johannes-Passion an und damit die Chance in einer kleineren Chorbesetzung mitzusingen. Da war ich schätzungsweise 16 Jahre alt. Weil ich das unbedingt hinbekommen wollte, habe ich mich jeden Abend in unserer Garage (um die Nachbarn nicht zu stören) ins Auto gesetzt, die CD eingeschoben und so lange geübt bis ich die stimmliche Beweglichkeit hatte und ich Koloraturen singen konnte. Auch eine Methode, was? Alles sehr intuitiv 🙂

Strukturierter und gezielter wurde das Üben im Gesangs-Grundstudium. Mein Lehrer hat mir klarmachen wollen, dass ich die Zeit, die ich habe unbedingt nutzen sollte, und dass Zeit verlieren als junge(r) SängerIn fatal sein kann. Meine damaligen Möglichkeiten verlangten es  Technik und alles, was damit zusammen hängt, von Grund auf aufzubauen. Das waren Bereiche, wie Atmung (muskulärer Aufbau), Platzierung der Stimme, Körperbewusstsein überhaupt erst einmal entwickeln, die Anatomie des Körpers und des Stimmapparates begreifen und die Herangehensweise an Lieder und Arien. Somit kommen wir generell zu den ersten Unterschieden: jede Stimme bringt in jungen Jahren unterschiedlich viel mit. Manche Stimmen sind extrem frühreif und groß, manche Stimmen müssen sich erst noch entwickeln. Damit zusammen hängt definitiv die Persönlichkeitsstruktur jedes Einzelnen:
Wie schnell lernt man? Ist man musikalisch, intelligent und begabt genug? Wie groß ist der Wille und die Bereitschaft alles zu geben? Meine erste Lehrerin sagte mir immer wieder: „Schöne Stimmen gibt es viele. Die Frage ist, was macht dich aus und was ist besonders an dir?” In meinem Falle lag zwar etwas Schönes in der Stimme, doch ich musste alles von Beginn an lernen. Nur was ich bis ins kleinste Detail begriff und nachvollziehen konnte, konnte ich nachhaltig umsetzen. Das ist auf jeden Fall heute noch so.

Im Studium funktionierte das Üben bei mir so, dass ich zunächst im Unterricht durch meinen Lehrer gewisse Abläufe erlernte, quasi erfühlte wo ich hin arbeiten muss und mir dafür Wege gezeigt wurden. Im Überaum habe ich dann versucht genau dieses Gefühl beim Singen wieder herzustellen, also wieder genau das zu finden, was ich im Unterricht erfahren habe. Das war nicht immer leicht und erforderte sehr viel Geduld. Die Schwierigkeit hierbei war auch, dass ich dazu neigte in Extremen zu rutschen, wenn im Unterricht zunächst einmal nur in eine Richtung des Singens gearbeitet wurde. Singen ist eben nicht nur ein technischer Aspekt, sondern etwas Ganzheitliches. Die Essenz aus allen wichtigen Bereichen dessen zu finden ein Lebensweg. Nach dem Studium wollte ich mich zunächst einmal der großen Herausforderung stellen alleine, also ohne Hilfestellung eines Lehrers, mit meiner Stimme und dem Beruf klarzukommen. Ich sage Euch, das ist nicht möglich. Wir alle brauchen Lehrer, Mentoren und Außenstehende, die einem helfen auf dem richtigen, technischen und musikalischen Weg zu bleiben, so dass sich die Stimme frei entfalten kann.
Was bedeutet freies Singen? Überspannungen, die die Stimme festhalten abbauen- damit meine ich Bereiche wie Unterkiefer, Zunge und alles was uns beim Singen suggeriert den eigenen Stimmsound kontrollieren zu können, also etwas machen zu können. Stattdessen an den richtigen Stellen, durch Atmung und Körper, Kräfte entwickeln, wodurch ein freies Fließen der Stimme möglich wird. „Singen ist Atemkunst”. Alles leichter gesagt, als getan. Schließlich sind die Anforderungen immer unterschiedlich, die Stücke in der Schwierigkeit mal schwerer und mal leichter. Es gibt Arien und Partien meines Repertoires, an denen ich schon Jahre arbeite. Das bedeutet, dass ich sie intensiv übe, sie dann weg lege und bei Zeiten wieder auspacke. Es ist so erstaunlich zu sehen, wie sich der Umgang mit diesen Stücken entwickeln und verändern kann. Was einem einmal schwer gefallen ist funktioniert plötzlich.

Was bedeutet Üben heute für mich? Generell gilt: tägliches Üben hilft! Jeden Tag möchte ich mir die Zeit nehmen, mein Körperbewusstsein wach zu halten, die Muskeln zu aktivieren und immer wieder dahin zu kommen, was mir und meiner Stimme gut tut. Im Moment funktioniert das auch wunderbar, weil eben Zeit da ist. Zeit um geduldig zu sein, um kleine Schritte zu gehen, um sich jeden Ton einer Phrase im Körper bewusst zu machen und zu spüren, wie sich alles anfühlen sollte. Zeit um gründlich zu lernen und um über nichts hinweg zu singen. Klingt fast schon philosophisch. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich der Körper das so am besten einprägen und man das Erlernte abrufen kann, besonders dann, wenn die Zeit am Tag knapp ist, durch Proben und Alltag.

Dass man den Luxus der Zeit und Ruhe zum geduldigen Üben hat ist natürlich nicht immer so! Auch spielt die innere Verfassung und körperliche Konstitution eine große Rolle. Bin ich müde, geht bei mir da nicht so wahnsinnig viel. Beziehungsweise ist es wirklich sehr tricky zu singen, wenn der Körper müde ist. Die größte Herausforderung im Bezug auf das Üben, stellt sich mir in Zeiten von Produktionen, viel Arbeit und Alltagsstress. Meine Lehrerin sagt dazu gerne: „Vertraue auf deinen Körper, dann ist es nicht schlimm an müden Tagen mal eben nicht den hohen Ton zu singen, sondern vielmehr darauf zu vertrauen, dass du ihn grundsätzlich hast.“ Was sie vor allem auch damit meint ist, dass es an stressigen und belastenden Tagen darauf ankommt das zeitlich begrenzte Üben und Einsingen dazu zu nutzen, den Körper und den Atem anzubinden. Arbeiten und Proben ohne das Einsingen ist für mich nicht denkbar. Ihr fragt Euch sicher, wieviel ich übe und vor allem wie lange?! Das ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Manchmal bin ich schon nach eineinhalb Stunden wirklich gründlichem Üben happy. Um Kondition für größere Partien zu entwickeln nehme ich mir gerne mehrer Stunden am Tag Zeit. Aber auf jeden Fall in Etappen, d.h. Zwei bis drei Stunden am Vormittag und nochmal zwei Stunden am Abend. In Zeiten von Produktionen versuche ich mir vor den Proben immer mindestens eine Dreiviertelstunde bis Stunde zum reinen Einsingen zu gönnen. Es gibt auch absolute Down-Phasen: da helfen nur liebe Menschen, Kaffee und Serien 😉

Was bedeutet für Euch „üben“? Wie übt Ihr? Habt Ihr Fragen an mich, dann schreibt mir gerne einen Kommentar unter diesen Beitrag. Ich freue mich von Euch zu hören!

Ganz liebe Grüße,

Eure Nohad

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